Ausgabe 4/2016
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der vorliegenden Ausgabe schauen wir auf die Diskussion um den richtigen Umgang mit dem Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016 zur Zulässigkeit von Rx-Boni für ausländischen Versandapotheken. In diesem Zusammenhang machen einige Marktteilnehmer darauf aufmerksam, andere für die wirtschaftliche Situation der Apotheken wichtige Themen nicht zu vergessen. So sahen zwei Oberlandes-gerichte in der Gewährung von Skonti auf vereinbarte Zahlungsziele einen versteckten unzulässigen Rabatt, der auf die Rabattgrenze anzurechnen ist. Hier rechnen Kenner des Marktes mit einem gefährlichen Margenverlust, der die Apotheken unter noch größeren wirtschaftlichen Druck setzt.
Mit Blick auf den Importmarkt ist aktuell festzuhalten, dass der Bundesrat in seiner Plenums-sitzung von November den Antrag des Freistaates Bayern die Importförderung nach § 129 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zu streichen, abgelehnt hat. Damit stellte sich die Versammlung der Ministerpräsidenten zum wiederholten Male gegen den Versuch, dieses etablierte Wettbewerbs- und Sparinstrument bei patentgeschützten und verschreibungs-pflichtigen Arzneimitteln den Interessen der Pharmaindustrie über die Hintertür zu opfern.
Wir sehen in dieser richtigen Entscheidung ein deutliches politisches Signal, das im Sozial-gesetzbuch verankerte Wirtschaftlichkeits-prinzip auch weiterhin mit funktionierenden Instrumenten umzusetzen.
Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre.
Ihr Prof. Edwin Kohl
Vorstandsvorsitzender des VAD
Im Blickpunkt I
Zwischen Liberalisierung und Verbot:
Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil
Deutsche Apotheken dürfen keine Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren, EU-Versandapotheken hingegen durchaus. Das ist der Status quo seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Oktober vergangenen Jahres. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA) forderte umgehend ein Verbot des Versandhandels mit Rx-Arzneimitten. Auf breite Unterstützung kann sie dabei nicht hoffen. Aber es gäbe Alternativen.
Die deutsche Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) ist teilweise europarechtswidrig und deshalb für ausländische Versandapotheken nicht verbindlich. Das entschied der EuGH am 19. Oktober 2016 und stellte damit den Zustand wieder her, der bis 2012 galt. Ausländische Versandapotheken dürfen in Deutschland demnach Rabatte und andere Preisvorteile gewähren. Für deutsche Vor-Ort-Apotheken gilt die nationale Regelung weiter. Die Kritiker des Urteils sehen darin einen erheblichen Wettbewerbsnachteil.
Verbände forcieren Versandverbot
Über die möglichen Reaktionen gehen die Meinungen auseinander. Die Vorschläge reichen von einer vollständigen Liberalisierung des Arzneimittelmarkts bis zu einem Verbot des Versandhandels. Für ein Verbot macht sich vor allem die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA stark. Eine entsprechende Gesetzesinitiative ist noch vor Weihnachten auf den Weg gebracht worden. Während sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe für die Wünsche der Apotheker offen zeigte, lehnte der Koalitionspartner SPD in der Person des Vorstandsmitgliedes und Gesundheitsexperten Karl Lauterbach den Vorstoß kategorisch ab.
Verbot wäre kaum zu begründen
Vorsorglich haben die betroffenen ausländischen Versender sowie die Verbandsspitze der deutschen Versandapotheken (BVDVA) angekündigt, im Fall eines Verbots vor Gericht zu ziehen. Ein Verbot des Versandhandels ließe sich europarechtlich nur mit dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung begründen. Im Kern wäre also nachzuweisen, dass der Versandhandel aus dem EU-Ausland die Arzneimittelversorgung beziehungsweise die Patienten in Deutschland gefährde. Gegen diese Argumentation sprechen zwölf Jahre praktizierter Versandhandel, in denen bislang keine negativen Folgen zu beobachten waren. Darüber hinaus könnten sich die Versandapotheken bei einem Verbot auf die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) und den Eigentumsschutz (Art. 14 GG) berufen.
Boni auf Kostenträger beschränken
Ein gangbarer Weg, der Bevorzugung der ausländischen Versandapotheken die Wirkung zu nehmen, besteht hingegen darin, den Bundesrahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V in einem entscheidenden Punkt zu konkretisieren. Momentan gewähren die EU-Versandapotheken de facto keine Rabatte, sondern Boni. Diese kommen aber ausschließlich dem jeweils bestellenden Kunden zugute, während die eigentlichen Kostenträger und damit die Versichertengemeinschaft leer ausgehen. Das verstößt jedoch gegen das Sachleistungs- und Solidaritätsprinzip des deutschen Gesundheitssystems. Privat Versicherte sind zwar gesetzlich verpflichtet, Boni an ihre Kasse weiterzureichen. Der GKV fehlt dafür aber die Grundlage: Die gesetzlichen Kassen zahlen den bundeseinheitlichen Preis für rezeptpflichtige Arzneimittel. Im Rahmenvertrag wäre also festzulegen, dass Boni wie Rabatte zu werten sind und dann den Krankenkassen zugutekommen müssen.
Druckmittel Rahmenvertrag
Die EU-Versandapotheken haben sich den Beitritt zum Rahmenvertrag mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) sogar vor Gericht erstritten, um nach den einschlägigen Vorschriften abrechnen zu können. Sie sind demnach verpflichtet, sämtliche Krankenkassen nach dem Sachleistungsprinzip zu beliefern. Dieser Grundpfeiler des Solidarsystems bleibt auch nach dem EuGH-Urteil bestehen. Damit gelten gemäß § 2b Abs. 2 des Bundesrahmenvertrages auch für die EU-Versandapotheken aber die Preisvorschriften nach § 78 Arznei-mittelgesetz (AMG) in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisVO) und dem § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG).
Konkret bedeutet das: Rabatte und Boni verstoßen gegen den Rahmenvertrag mit GKV und DAV. Dagegen vorzugehen, könnte ein weiterer Hebel sein. Dem DAV stünde es frei, mit der einseitigen Kündigung des Rahmenvertrages zu drohen, um seinerseits Druck auf die GKV aufzubauen. Die GKV wiederum könnte oder müsste Vertragsbrüche abmahnen und sanktionieren. Die Vertragsstrafen können sich auf bis zu 25.000 Euro belaufen oder gar den verantwortlichen Apothekenleiter für zwei Jahre von der Versorgung ausschließen. Diese Druckmittel dürften bereits zeitnah eine weit höhere Aussicht auf Erfolg haben als ein geplantes Verbot des Versandhandels, welches rechtlich schwierig und politisch umstritten ist.
Im Blickpunkt II
Apotheken: Gewerbebetriebe mit gesellschaftlichem Auftrag
Laut § 1 Apothekengesetz obliegt den Apotheken die „im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“. Dazu bedient sich der Pharmazeut des Gewerbebetriebs Apotheke. Unter Beschuss kommt dieses Ziel nicht nur durch das EuGH-Urteil. Auch die Auffassung deutscher Gerichte von Skonti setzt Vor-Ort-Apotheken wirtschaftlich unter Druck.
Apotheken erwirtschaften mehr als drei Viertel ihres Umsatzes mit verschreibungs-pflichtigen Arzneimitteln. Rabatte auf diese Produkte sind in Deutschland ausge-schlossen. An das Verbot müssen sich nach dem EuGH-Urteil aber nur noch Vor-Ort-Apotheken halten (siehe Blickpunkt I). Die Versandapotheken haben nach dem Urteil ihre vorbereiteten Preismodelle unverzüglich erneut angeboten. Hinzu kommt, dass zwei Oberlandesgerichte Skontovereinbarungen des Großhandels oder der Industrie mit Apotheken als unzulässig bewertet haben. Die Richter in Bamberg und Saarbrücken sahen die Vorschriften des Heilmittelwerberechts (HWG) und der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verletzt.
Revision vor dem Bundesgerichtshof
Gegen das Urteil aus Bamberg ist bereits ein Revisionsverfahren beim Bundesge-richtshof (BGH) anhängig. Die Kläger argumentieren, dass auch eine Apotheke betriebswirtschaftlich geführt werden muss. Ein Apotheker wähle Handelspartner aus, die ihm angemessene Einkaufskonditionen anböten. Zu diesen Konditionen gehören auch Skonti für verabredete Zahlungsziele.
„Falls der Bundesgerichtshof die Interpretation der Oberlandesgerichte teilt, wird der Druck auf die Apotheken weiter zunehmen“, fürchtet Jörg Geller, Geschäftsführer des Importeurs kohlpharma und Mitglied im VAD-Vorstand. „Das gefährdet die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland.“ Geller rät der Politik deshalb, einer Eskalation vor dem BGH vorzubeugen. Der Gesetzgeber solle klarstellen, dass Skonti ein zulässiges Instrument kaufmännischen Handelns seien. „Marktübliche Skonti für verabredete Zahlungsziele beteiligen die Apotheken anteilig an den Effizienzvorteilen, die Lieferanten durch Zinsersparnis, geringeres Vorfinanzierungsvolumen oder erhöhte Liquidität gewinnen.“
Abwärtsspirale stoppen
Mittelständische Betriebe auf dem Land finden schon heute nur mit Mühe qualifizierten Nachwuchs. Das gilt auch für Apotheken, deren Inhaber die 60 häufig bereits überschritten haben und Nachfolger suchen: Angesichts der ungewissen Zukunft und wirtschaftlicher Risiken scheuen junge Pharmazeuten davor zurück, für den Kauf einer Apotheke einen Kredit aufzunehmen. „Wenn die Politik die flächendeckende pharmazeutische Beratung und die Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen will, sollte sie die Apotheker auch als Kaufleute ernst nehmen und handlungsfähig machen.“
Im Blickpunkt III
Herstellerrabatte
Importeur fordert Herstellerrabatte zurück. Ausländische Versandapotheken nicht rabattberechtigt.
Als erstes pharmazeutisches Unternehmen hat der Importeur kohlpharma von den maßgeblichen ausländischen Versandapotheken – DocMorris in Heerlen und Europa Apotheek in Venlo – die Rückzahlung der aus seiner Sicht unberechtigt erstatteten Herstellerrabatte nach § 130a Abs.1 SGB V gefordert. Die Rückzahlung bezieht sich nach Firmenangaben auf den Zeitraum zwischen dem 01.01.2010 und dem 01.10.2016. Nachdem zwischenzeitlich mit Fristablauf der Geltendmachung widersprochen wurde, hatte kohlpharma noch vor Weihnachten Klage vor dem Sozialgericht Saarbrücken eingereicht.
In seinem Urteil vom 19.10.2016 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Zulässigkeit von Rx-Boni durch ausländische Versandapotheken mit Vertrieb nach Deutschland damit begründet, dass die nationalen Preisvorschriften (§ 78 AMG i. V. m. der AM-PreisVO i. V. m. § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG)) für diese nicht gelten, da sie geeignet sind, die Warenver-kehrsfreiheit zwischen den Mitgliedsstaaten einzuschränken und mithin eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Für deutsche Apotheken gilt das Verbot für Rx-Boni jedoch uneingeschränkt weiter.
„Wenn für die ausländischen Versandapotheken die deutschen Preisvorschriften laut EuGH nicht bindend sind und die Versandapotheken trotz des freiwilligen Beitritts zum Rahmenvertrag für die Belieferung und Abrechnung von Rx-Arzneimitteln die deutschen Preisvorschriften fortgesetzt nicht einhalten und verbotene Boni gewähren, entfällt nach unserer Auffassung auch der Anspruch auf die Zahlung des Herstellerrabattes“, sagt Jörg Geller, der Geschäftsführer von kohlpharma. „Wir sehen in der Rückforderung der Herstellerrabatte einen marktgerechten Weg, der Rosinenpickerei entgegenzuwirken und damit der deutschen Vor-Ort-Apotheke, sei es nun mit oder ohne Versandhandelserlaubnis, im Rahmen unserer Möglichkeiten den Rücken für einen fairen Wettbewerb zu stärken.“
Expertenbeitrag
Skonto wichtiger als Rx-Versandverbot
Das Urteil des EuGH kam nach dem Spruch des Generalanwalts keineswegs überraschend. Dennoch wirkte die Reaktion der Standesführung wenig differenziert. Reflexartig wurde lediglich die Erwartung an die Politik herangetragen, ein Verbot des Versands verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu erlassen. Einige Politiker haben zunächst die Hoffnung geweckt, dass sich diese Forderung schnell umsetzen ließe. Eigentlich stand aber von Anfang an fest, dass sich ein Versandverbot für Rx-Arzneimittel nach über einer Dekade ohne jegliche Beanstandung verfassungsrechtlich nicht so einfach begründen lässt und zudem wahrscheinlich ein europäisches Notifizierungsverfahren durchlaufen werden müsste. Zudem dürfte ein solches Verbot auch der Bevölkerung schwer vermittelbar sein.
Klar ist aber, dass sich auch ausländische Versandhändler nicht aus jedem Kuchen nur die Rosinen picken können. Lange haben die ausländischen Versandhändler darum gekämpft, dem Rahmenvertrag nach § 129 SGB V beitreten zu können. Damit haben sie eine einfache Abrechnungsmöglichkeit mit allen Kassen gefunden und konnten die Hersteller überzeugen, ihnen die Herstellerrabatte zu zahlen. Mit dem Beitritt zu diesem Vertrag haben sie sich freiwillig deutschem Preisrecht unterworfen, mithin die Regeln akzeptiert, die laut EuGH-Urteil für sie zunächst nicht gelten. Mittlerweile werden sie bewusst, gewollt und fortgesetzt vertragsbrüchig und gewähren jenseits des Solidarsystems Boni direkt an einzelne Versicherte, die eigentlich der Versichertengemeinschaft zustünden.
Mittlerweile wurde von verschiedenen Seiten unser Vorschlag aufgegriffen zu prüfen, ob nicht die GKV verpflichtet ist, die vertraglich geregelten Sanktionsmechanismen zu ziehen. Zu genau dieser Einschätzung kam sehr zeitig die Leipziger Kanzlei Hönig & Partner im Auftrag des Sächsischen Apothekerverbands. Man wird sehen, was sich daraus entwickelt.
So sehr sich mancher chronisch kranke Patient durch das Angebot von Boni auf seine ihm verschriebenen Medikamente vielleicht verleiten lässt, von seiner Stamm-Apotheke vor Ort in den Versandhandel zu wechseln, so ist das sicherlich nicht der Untergang der deutschen Apotheke. Der Marktanteil des Versandhandels wird bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wohl nachhaltig im kleinen einstelligen Prozentbereich bleiben. An anderer Stelle ist die Schlacht um den Patienten vielleicht schon verloren. So setzen OTC-Hersteller zunehmend auf soziale Medien als Werbeplattform und bieten konsequent und ohne Medienbrüche direkte Verlinkungen zu Versandhändlern, die die beworbenen Arzneimittel ausliefern. Manch ein OTC-Anbieter verbucht bereits heute einen deutlich zweistelligen Umsatzanteil im Versandhandel. Auch hier sind Verteidigungsstrategien gefragt.
Das größte Problem für die deutsche Apotheke bleibt bisher fast unkommentiert und braut sich scheinbar unter der Wahrnehmungsschwelle zusammen. Sowohl das OLG Bamberg wie das OLG Saarbrücken haben in bislang nicht rechtskräftigen Urteilen die Rabatte, die eine Apotheke vom Großhandel oder im Direktgeschäft erhalten kann, auf die variable Höchstspanne des Großhandels beschränkt. Bei Arzneimitteln im mittleren Preisbereich wären damit maximal 3,15 % Rabatt zulässig. Zusätzliche Skonti wären untersagt. In etwa einem Jahr wird der BGH entscheiden. Sollte er den beiden Obergerichten folgen, wären die Konsequenzen unmittelbar für nahezu jede Apotheke spürbar und ökonomisch verheerend. Nach unserer Berechnung wäre ein Drittel des Unternehmerlohns in Gefahr. Über eine flächendeckende Versorgung oder die Auswirkungen des EuGH-Urteils brauchen wir uns dann nicht mehr zu unterhalten. Es gilt, jetzt zu handeln! Der Gesetzgeber sollte ein angemessenes Skonto ausdrücklich zulassen. Dafür sollte die ABDA jetzt kämpfen. Denn der Apotheker ist ein unverzichtbarer Leistungserbringer im Gesundheitswesen, der allerdings nur über ein Warengeschäft und die dabei erwirkte Marge honoriert wird.
Jörg Geller
ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KOHL MEDICAL AG und Geschäftsführer
der kohlpharma GmbH sowie Mitglied im Vorstand des VAD.